Cour de Cassel ist eine Interessengemeinschaft, die in
den Jahren 2008 – 2010 entstand.
2011 erfolgte die erste Zusammenarbeit mit der
Museumslandschaft Hessen-Kassel, 2013 dann die Kooperation mit der Gesellschaftfür Hessische Militär- und Zivilgeschichte e.V., hier wird Cour de Cassel auch
als offizielle Darstellungsgruppe geführt, viele Mitglieder der Cour de Cassel
sind auch mittlerweile Vereinsmitglieder des „Hessenmilitärs“.
Hervorgegangen ist Cour de Cassel aus einem Seminar für
Kleidung des Barockzeitalters.
Es fanden sich junge Leute, Studenten, zusammen, die dem
Gesellschaftsideal des 17. und 18. Jahrhundert, der „Honnêteté“
nacheifern wollten: Das
Anstreben einer Weltgewandtheit, einer umfassenden humanistischen Bildung und
guten Umgangsformen, um angeregte Konversation zu halten. Das Ziel dieser Tätigkeiten
und Forschungsarbeit sollte jedoch keine reine intellektuelle Auseinandersetzung
bleiben. Durch das Tragen von Kostümen, oder wie wir es lieber bezeichnen, historischer
Kleidung, sowie das Nachstellen bestimmter historisch überlieferter
Situationen, ist ein völliges Abtauchen in diese Zeit möglich, ein
vollumfänglich sinnliches Erleben einer Epoche, das weit über die Möglichkeiten
von virtueller Realität hinausgeht - denn es ist echt.
Auch gibt es die Möglichkeit in Form von Veranstaltungen, einem
interessierten Publikum ein Zeitfenster zu öffnen und Wissen zu vermitteln. Die
Gesellschaft für Hessische Militär- und Zivilgeschichte e.V. hat sich bei
vielen Museen und ähnlichen Institutionen einen entsprechend guten Ruf
erarbeitet. Die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte und der
damaligen Kunst- und Kultur ist zentrale Motivation. Schwerpunkt für
Cour de Cassel ist seit einigen Jahren der Hessische Hof des 18. Jahrhunderts.
Wir bemühen uns stets um eine objektive und politisch, wie religiöse
völlig neutrale Darstellung historischer Begebenheiten. Natürlich ist uns
bewusst, dass es immer eine Interpretation bleiben wird, aber ähnlich wie in
der Musik, bei der historisch informierten Aufführungspraxis, bemühen wir uns
alle Erkenntnisse und verfügbaren Quellen einfließen zu lassen, und im Rahmen
der uns heute möglichen Mittel, ein glaubwürdiges, authentisches Szenario, frei von
Klischees und Vorurteilen zu zeigen.
Woher kommen die Kostüme ?
Der allgemeinen Vermutung, unsere Garderoben seien
Leihgaben von Theatern oder Filmausstattern muss hier kategorisch widersprochen
werden.
Weder Theater noch Filmausstatter sind in der Regel in
der Lage diese Kleidung so anzufertigen, dass sie unseren Ansprüchen genügen: Es
fehlt dort das Wissen um Schnitte, Materialien, Dekorationen und Details.
Auch können herkömliche Kostüm- und Maß-Schneider diese Anforderungen nicht erfüllen.
Die Kostüme,
also unsere Hofkleider und Uniformen, werden ausschließlich nach historischen
Quellen von uns selbst angefertigt. Diesen Projekten gehen langwierige Recherchen
voraus, sei es in Sammlungen, Museen, Archiven oder Musterbüchern. Materialien,
Kleiderschnitte und Anfertigung entsprechen den Originalen des 18.
Jahrhunderts. Die Garderoben, die eben weit über ein „Kostüm“ hinaus gehen – es
ist echte Kleidung - werden von Hand genäht, die Stickereien werden per Hand
ausgeführt und alte, fast vergessene Techniken wiederbelebt, um den damaligen
Originalen möglichst nahe zu kommen.
Es versteht
sich von selbst, dass diese Garderoben einen erheblichen Wert haben, es sind
Reproduktionen auf musealem Niveau, authentisch bis zur Unterwäsche.
Reenactment Living History – was ist
das ?
Grundsätzlich beschreiben beiden Begriffe das Gleiche: Die Darstellung
von Geschichte mittels Kostümen und Gegenständen der jeweiligen Epoche. Auch
ist die experimentelle Archäologie damit eng verwandt. Das Reenactment
beschreibt – wenn man es genau nimmt – das Nachstellen einer ganz bestimmten
historischen Begebenheit, meist sind dies kriegerische Auseinandersetzungen, wie
z.B. die Schlacht von Waterloo.
Living History, also gelebte Geschichte, ist die Nachstellung einer
bestimmten historischen Lebenswelt, ohne dass ein ganz spezielles Ereignis nachgespielt
wird. Auch sind hier häufiger nicht militärische Inhalte das Thema.
Man kann durchaus beim Living History eine Verwandtschaft zum LARP (Live Action Role Playing) sehen. Der Unterschied ist jedoch zum LARP, dass beim Living History, wie beim
Reenactment, größten Wert auf eine authentische und historisch nahezu korrekte
Darstellung Wert gelegt wird, während LARP in der Regel in Fantasywelten
angesiedelt ist.
Warum gerade das 18. Jahrhundert? Wieso Hessen?
Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Aufklärung, das Zeitalter
des geistig-intellektuellen Aufbruchs. Hier sind die Wurzeln unserer jetzigen
Lebensrealität zu finden – unserer heutigen Ideale und der Maxime der
Aufklärung, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt hat:
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
(Kant)
Natürlich spielt auch die Liebe zur damaligen Mode, zur
Malerei, Architektur, Literatur und Musik eine große Rolle. Goethe, Rousseau, Schiller,
Voltaire, Klopstock, Boucher, Batoni, Tiepolo, de Cuvilliés, Neumann, Asam,
Bach, Händel, Rameau, Gluck, Mozart……
Die Liste von großen Namen dieser Epoche ist unendlich.
Und zu guter Letzt, spielte gerade Hessen zu jener Zeit
bei der ganz großen Weltgeschichte mit!
Denn die Landgrafschaft Hessen-Kassel war unmittelbar am
amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beteiligt, der die erste moderne Demokratie
und die Unabhängigkeit der USA zur Folge hatte. Und letztlich wurden durch
diese Ereignisse auch die Französische Revolution und das Infrage stellen der
alten Machtstrukturen in Europa der Weg geebnet.
Die Regierung des Landgrafen Friedrich II. (1760 – 1785) wird heute
fast völlig vom berüchtigten Soldatenhandel überschattet: Eine selbstherrlicher
Fürst verkauft seine Landeskinder nach Amerika.
So zumindest die stets wiederholte Legende.
Tatsächlich war die Regierungszeit dieses Landgrafen eine
außergewöhnlich glückliche für das arme Land Hessen. Er war der Aufklärung und
der Kunst sehr zugetan, er versuchte durch Reformen der Justiz, der Wirtschaft und Bildung das Leben in der Landgrafschaft zu verbessern. Nicht alles ist ihm geglückt, aber vieles machte großen Eindruck auf das damalige Europa. Englische Reiseschriftsteller nannten neben Berlin,
Dresden und Wien die Residenzstadt Kassel, die man in den deutschen Landen
unbedingt besucht haben sollte.
Die heutige Kunsthochschule Kassel hat ihre Wurzeln in der 1777 gegründeten Kunstakademie, das Fridericianum war eines der ersten öffentlichen Museen in Europa, und ist heute das zentrale Museum für bildende Kunst der Gegenwart in Kassel.
Der Soldatenhandel brachte dem armen Land ungeheuren Reichtum, doch
keineswegs wurden Soldaten verkauft. Ein sogenannter ‚Subsidienvertrag‘ war in
erster Linie eine mit großzügigen Geldmitteln erkaufte politische
Unterstützung. Oftmals wurden dann auch militärische Einheiten zusätzlich „vermietet“,
um diese politische Unterstützung auch tatsächlich mit handfesten Taten zu
bezeugen.
Viele deutsche Fürsten benutzen das Subsidiensystem, es war zur
damaligen Zeit selbstverständlich und keinesfalls anstößig. Für Hessen war es zeitweise die wichtigste
wirtschaftliche Einnahmequelle. Landgraf Karl (der Erbauer der barocken Herkulesanlage), schloss ganze 18 (!) solcher
Verträge ab, Landgraf Friedrich II. nur einen einzigen Vertrag, dieser blieb
aber im Gedächtnis.
Die Hessischen Soldaten, die 1776 als Unterstützungstruppen
nach Amerika verschifft wurden, um gegen die aufständischen Milizen und
Rebellen eingesetzt zu werden, machten fast die Hälfte der gesamten königlichen
Truppenstärke aus. Sie waren damit eine ernsthafte Bedrohung für die Amerikaner
– und auch für die französische Unterstützung. Konnte man diese, bis zur Perfektion
gedrillte Armee, nicht im Kampf besiegen, so versuchte man dies mit Diffamierungen: Es entbrannte einer der ersten professionellen Propagandakriege. Letztlich unterlagen jedoch die
königlichen Truppen und kapitulierten. Die amerikanischen Freiheitskämpfer
errangen ihre Unabhängigkeit, es war die Geburt der Vereinigten Staaten von Amerika.
Für das Königreich Großbritannien war dies eine Katastrophe. Sie hatten
Millionenbeträge nach Hessen überwiesen, ein gewaltiges Vermögen, das fast zum
Staatsbankrott führte. Hessen ging als Gewinner aus dieser Auseinandersetzung
hervor, zumal der größte Teil der hessischen Hilfstruppen auch wieder zurück in
die Hessische Heimat kamen.
Diese spannende Begebenheit wird jedes Jahr im Schlosspark Fasanerie in
Eichenzell mit der europaweit größten Reenactment-Veranstaltung für die Epoche
des Rokoko thematisiert:
Verklärung und Militarismus?
Fast alle historischen Darsteller sehen sich bestimmten Vorurteilen
ausgesetzt, sei es der Vorwurf von Geschichtsverklärung, Militarismus bis hin
zur Kriegsverherrlichung.
Aber Vorurteile bewahrheiten sich selten.
So wird bei allen professionellen Veranstaltungen, eine möglichst objektive, wertfreie Sicht angestrebt,
frei von Klischees. Es werden sowohl schöne, als auch weniger schöne Seiten
gezeigt und auch entsprechend erklärt und oftmals auch moderiert. Auch wenn alle Darsteller eine Passion für diese Zeit haben, so wünscht
sich doch niemand ernsthaft in dieser Epoche zu leben, oder ähnliche Zustände, mit
Fürstenwillkür und Erbfolgekriegen heute zu erleben. Schon weniger spektakuläre
Ereignisse des Alltages, wie der Besuch beim Bader zum Zahnziehen sind schon in der
Vorstellung ausreichend, um die Freiheiten und Annehmlichkeiten der Gegenwart genug zu schätzen.
Es geht keinesfalls um Realitätsflucht, vielmehr öffnet die intensive Beschäftigung mit der Geschichte, der Aufklärung, Kunst und Philosophie den eigenen Blickwinkel.
Es geht keinesfalls um Realitätsflucht, vielmehr öffnet die intensive Beschäftigung mit der Geschichte, der Aufklärung, Kunst und Philosophie den eigenen Blickwinkel.
Die Nachstellungen von Schlachten sind nicht unumstritten, oft als Kriegspiel und Kriegsverherrlichung von Waffennarren verunglimpft, wird oft wenig hinterfragt, was hier eigentlich getan wird. Wer einmal so ein Gefecht miterlebt und gesehen hat, wird nie
wieder von Kriegsverherrlichung sprechen: Die bunten Uniformen und das strenge
Exerzieren täuschen nur kurz über den Schrecken hinweg, wenn junge Kerle,
aufrecht laufend, in das gegnerische Feuer getrieben werden. Die Gefechte werden stets
moderiert und erklärt, so erfährt man auch, dass es seltener Gewehrkugeln waren,
die tödliche Verletzungen verursachten, es sind umherfliegende Körperteile,
Knochensplitter und Ausrüstungsgegenstände, wenn wenige Meter weiter eine
Kanonenkugel eingeschlagen ist.
Und wenn dann nach der Schlacht der Feldscher stoisch mit seinem blutigen
Handwerk beginnt, und alles absägt was nicht mehr zu retten ist, dann wird auch
der Letzte zum Pazifisten.
Es ist alles nur gespielt, vieles
nur „theatralisch“ angedeutet, aber anhand von Augenzeugenberichten und
sonstigen historischen Aufzeichnungen möglichst authentisch inszeniert, aber das genügt, um sich ein Bild der damaligen Umstände zu machen und noch einmal auf drastische Weise an die absolute Sinnlosigkeit des Krieges, zu jeder Zeit der Menschheit, erinnert zu werden.
Aber Reenactment erschöpft sich nicht nur im Darstellen von Leid und Tod
auf dem Schlachtfeld.
Das Leben an sich ist das Thema, sei es als einfacher Bauer, Handwerker
bis hin zum Adel. Es ist spannend und lehrreich altes Handwerk zu entdecken, das
alte Ständesystem hautnah zu erleben, Umgangsformen und Zeremoniell anzuwenden und
eine ganz andere Welt kennen zu lernen.
Historische Darstellung ist auch immer ein Erinnern an völlig absurde
Handlungsweisen unserer Vorfahren. Das kann erschreckend sein, aber auch
amüsant und ist immer spannend.